Performance
No.5
Titel:
BROKEN SOCIAL SCENARIO PT.II
(Amoklauf im Wald /
sometimes you fight for the world sometimes you fight for yourself)
Aufgeführt am 26.10.2008
Aufführungsort / Kontext:
Diese Performance fand auf Einladung der Künstlerin Marte Kiessling
in der POW Galerie in Hamburg-Altona anlässlich der Finissage
ihrer Ausstellung mit dem Titel ‘Waldschwester in der Eremitage’
statt.
(www.myspace.com/powiswow)
Dauer:
30min
Materialen:
- Kostüm Itty: rote Nokia Gummistiefel, rosa Wollschal
- Kostüm Legasto: roter Mantel, Pilzmaske
- Videoprojektor verbunden mit Videokamera
- Scheinwerfer (grün)
- 3 Schalen Champignons
- 3 hängende Champignons
- Tisch, Stuhl, 2 Kerzen
Performance Ablauf:
Legasto steht regungslos auf seinem Platz
Itty legt jedem Gast zwei Pilze in die Hand, setzt sich an Tisch
Ihr Gesicht erscheint innerhalb von Legastos Wandschatten
Itty beginnt zu lesen.
Auf das Stichwort ‘Schlacht’ hin beginnt Legasto eine
ThaiChi-artige Meditationsübung mit den an der Decke befestigten
Pilzen.
Am Ende des Textes singt Itty das Volkslied ‘Ein Männlein
steht im Walde’, steht dabei auf, geht ab
Legasto übt noch ca. fünf Minuten weiter die Schlacht mit
sich selbst, geht dann ab
BROKEN SOCIAL SCENARIO PT.II
(Amoklauf im Wald /
sometimes you fight for the world sometimes you fight for yourself)
(Text)
Zuallererst möchte ich Ihnen meine Freude darüber mitteilen,
daß Sie noch unter den Lebenden weilen- ich hatte gelesen, wie
schwer Sie erkrankt waren und habe mich über die Nachricht gefreut,
daß Sie dies überlebt und nun zumindest nicht mehr akut
derartig schwer krank sind. Ich interessiere mich schon ziemlich lange
für Ihre Arbeit- von einer Aktion ist mir besonders im Gedächtnis
geblieben, daß mir die Entscheidung, tatsächlich teilzunehmen,
mich in Bewegung setzen zu lassen, mich zu entschließen, voll
reinzugehen in diese reale Inszenierung des Realen und mich bewußt
vereinnahmen zu lassen, damals sehr schwer gefallen ist. Aber dann
habe ich wahrgenommen, wie Sie sich selbst auch nicht rausnehmen und
daß Sie etwas wagen. Brüche, Fehler, Leidenschaft, Leben
zuließen.
Sie geben sich sehr viel Mühe und Sie schonen sich nicht. Sie
haben ziemlich lange durchgehalten in dieser Rolle, der Gesellschaft
was abzunehmen und in ihrem Versuch, diese Rolle nicht zu akzeptieren,
bzw. sie zu durchlöchern und die Verantwortung zurückzugeben.
Ich hatte den Eindruck, Sie konnten das tatsächlich machen, ohne
zu zerbrechen, aber nun sind Sie krank und es gibt eine Kirche der
Angst.
(Gestern habe ich geträumt. Ich bin durch den Wald gelaufen in
dem betäubend warmen Wind, der von allen Seiten zu wehen schien
und die Bäume wie Schlangen bewegte. Ich hatte das deutliche
Gefühl, daß meine Füße schwerer wurden. Ich
zählte die Möglichkeiten, 1) meine Füße wurden
schwerer und der Boden saugte meine Füße an. 2) ich fühlte
meine Füße schwerer werden, weil der Boden sie ansaugte.
3) ich hatte den Eindruck, daß der Boden meine Füße
ansaugte, weil sie schwerer wurden. Die Fragen beschäftigten
mich eine Zeit lang. Ich fand die Antwort in dem zunehmenden Schwindelgefühl,
das der konzentrisch wehende Wind mir verursachte: meine Füße
wurden nicht schwerer, der Boden saugte meine Füße nicht
an. Das eine wie das andere war eine Sinnestäuschung, durch meinen
fallenden Blutdruck bedingt. Das beruhigte mich und ich ging schneller.
Oder glaubte ich nur schneller zu gehn. Als der Wind zunahm, wurde
ich häufiger an Gesicht Hals Händen von Bäumen und
Ästen gestreift. Die Berührung war zunächst eher angenehm,
ein Streicheln oder als prüften sie, wenn auch oberflächlich
und ohne besonderes Interesse, die Beschaffenheit meiner Haut. Dann
schien der Wald dichter zu wachsen, die Art der Berührung änderte
sich, aus dem Streicheln wurde ein Abmessen. Wie beim Schneider, dachte
ich, als die Äste meinen Kopf umspannten, dann den Hals, die
Brust, die Taille usw., bis sie mich von Kopf bis Fuß Maß
genommen hatten. Das Automatische des Ablaufs irritierte mich. Wer
oder was lenkte die Bewegungen dieser Bäume, Äste oder was
immer da an meiner Kleidergröße Kragenweite Schuhgröße
interessiert war. Konnte dieser Wald überhaupt noch ein Wald
genannt werden. Vielleicht machte nur noch die Benennung einen Wald
aus und alle andern Merkmale waren schon lange zufällig und auswechselbar
geworden. Ich dachte noch darüber nach, als der Wald mich wieder
in den Griff nahm. Er studierte mein Skelett, Zahl, Stärke, Anordnung,
Funktion der Knochen, die Verbindung der Gelenke. Die Operation war
schmerzhaft. Ich hatte Mühe, nicht zu schreien. Ich warf mich
nach vorn in einen schnellen Spurt aus der Umklammerung. Ich wußte,
nie war ich schneller gelaufen. Ich kam keinen Schritt weit, der Wald
hielt das Tempo, ich blieb in der Klammer, die sich jetzt um mich
zusammenzog und meine Eingeweide aufeinanderpreßte meine Knochen
aneinanderrieb, wie lange konnte ich den Druck aushalten. Ich hörte
mich lachen, als der Schmerz die Kontrolle meiner Körperfunktionen
übernahm. Es klang wie Erleichterung: kein Gedanke mehr, das
war die Schlacht. Sich den Bewegungen des Feindes anpassen. Ihnen
ausweichen. Ihnen zuvorkommen. Ihnen begegnen. Sich anpassen und nicht
anpassen. Sich durch Nichtanpassen anpassen. Angreifend ausweichen.
Ausweichend angreifen. Die Reihenfolge ändern und nicht ändern.
Ich summte diese Sätze vor mich hin, schneller und schneller
und dann langsamer und langsamer, zerlegte sie in Silben, schnitt
diese in einzelne Buchstaben, die ich abgehackt und langgezogen als
Laute, die ich nicht mehr verstand, skandierte, bis daraus wieder
ein Rhythmus wurde, schneller und schneller. Mir wurde schwindelig.
Ich dachte nicht mehr, ich machte aber auch nichts und wurde euphorisch
davon, ein Hochgefühl.
An dem Punkt hörte ich auf zu summen und griff in die Tasche
meines Mantels, nach meinem kleinen roten Notizbuch, um meine Erkenntnisse
aufzuschreiben, damit ich was draus machen konnte. Ich griff in die
Tasche. Ich fühlte mich plötzlich ausgelaugt, leer und traurig.
Der Moment war vorbei. Ich fing an zu weinen. Davon bin ich dann aufgewacht,
mit schalem Geschmack im Mund.)
Man ist sich selbst sein eigener Feind.
Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei Freundinnen durch die Krankheit
Krebs verloren und meine Mutter ist ebenfalls daran erkrankt - mehr
und mehr merke ich, was sich in mir verändert hat dadurch. Man
kommt anders drauf. Freundlicher, weniger hart, versöhnlicher
sogar vielleicht. An anderen Stellen aber ist mein Druck größer
geworden- straighter zu sein, die wenige, oder -besser gesagt- 'bemessene'
Zeit genauer zu nutzen, unnachgiebiger zu werden und mich ernster
zu nehmen in bestimmten Bedürfnissen und auch Wünschen.
Und deswegen sitze ich nun hier und verfasse diesen Text. Ich will
ja was.
Dies ist meine Bewerbung für das Solitude-Stipendium.
Tatsächlich hatte ich schon lange vor, Ihnen einen Brief zu schreiben
und es wäre schön gewesen, wenn ich dieses alte Dokument
heute einfach hätte öffnen und an Sie versenden können-
in dem Wissen, den Zeitpunkt des Schreibens damals selbst bestimmt
zu haben. Die Notwendigkeit des Schreibens wäre eine andere gewesen,
der Text wäre ein anderer. Er wäre weniger der Tatsache
verhaftet, tatsächlich in erster Linie ein Bewerbungschreiben
zu sein und nicht ein Text, der den eigentlichen Wunsch nach Austausch
mit Ihnen zur Veranlassung hat. Auch wäre er wohl schon längst
aufgeführt, vielleicht Teil einer Performance gewesen - Sie jedoch
hätten ihn wohl nicht zu lesen bekommen. Nun kann ich zumindest
ersteinmal davon ausgehen, daß der Text sie erreicht.
Ich werde versuchen, mich an den Text, den es schon hätte geben
sollen, bzw. an den Zustand, in dem ich mich dann befunden hätte,
gewissermassen zu erinnern. Ich möchte nicht vergessen, daß
die andere Notwendigkeit des Schreibens an Sie auch eine Möglichkeit
gewesen wäre und auch noch zukünftig ist. Aber es gibt nunmehr
nur den jetzigen Zeitpunkt, und das ist dann eben der richtige.
Und tatsächlich spüre ich nun sogar eine gewisse Freude
an dieser Arbeit- Grund sie zu verrichten. Ich schreibe selten Bewerbungsschreiben
und ich schreibe sie seltener noch mit Freuden. Ich habe dabei immer
das Gefühl, mich verstellen zu müssen. Beweggründe
verschleiern zu müssen. Zum Beispiel will ich Geld. Geld umfasst
ja sehr viel. Eigentlich will ich also Zeit, will ich Liebe, Anerkennung,
mich künstlerisch verwirklichen und darauf bestehen, das alles
als Geld zu bezeichnen. Geld, das mir Zeit ermöglicht, um in
Ruhe meine Sachen, meine Arbeit machen zu können. Geld, das mir
ein Gefühl von Unabhängigkeit vermittelt. Für Geld
mache ich meist diese Jobs, die konkret ersteinmal nichts mit meiner
Arbeit zu tun haben. Ich finde diese Trennung auch gut- denn um einen
Job zu haben, der etwas mit meiner Arbeit zu tun hat, müsste
ich erstmal andere Arbeit machen- zumindest war das bis jetzt meine
Erfahrungsspanne. Ich bin z.B. bei 'Rockcity' eingetragen, das ist
ein Verein, der sich um die Rechte von Musikern und Künstlern
kümmert, Proberäume vermietet und Bandbusse auch und versucht,
die vereinseingetragen Künstler als Events zu nutzen und nutzbar
zu machen, was oft gelingt, weil alle sind willig und der Verein hat
überallhin Kontakte. Ich bin also in diesen Verein eingetreten,
zugegebenermaßen zu diesem Zeitpunkt ökonomisch etwas verzweifelt,
und jetzt also eingetragen. Mir wurde beratend geraten, ich solle
anstelle des sperrigen Zeugs, was ich so mache, dieser ganzen Kritik
und so, die aber auch nicht etwa unmittelbar verwertbar auf den Tisch
scheißt und also lesbar ist, also jedenfalls ginge das so alles
nicht. Ich könne ja nicht dieselben Leute abschaffen wollen,
die mich bezahlen sollen. Ich solle stattdessen etwas für diese
Leute machen, eine unterhaltsame Show, mit Sex, eine Auktion, ein
Toupet, was weiß ich, aber immer dasselbe, ein halbes Jahr lang
einmal im Monat. Das wäre gut für mich.
Ich bin da anderer Meinung. Was gut für mich ist, ist hier zu
sitzen und diesen Brief zu schreiben als Bewerbungsgespräch und
ihn dann am Sonntag aufzuführen als Performance während
der Finissage einer Bekannten, die mich einlädt als Stimme der
Kritik in diese ihre Ausstellung- was die Ausstellung aufwertet, optisch
vielleicht, inhaltlich vielleicht sogar auch und wenn nicht, dann
war da wenigstens Etwas, das stattgefunden hat, das haben sich Leute
angeschaut. Haben sich angeschaut, wie ich spreche, kostümiert,
und mein Kollege auf dem Boden rumkriecht und mit der Videokamerera
simuliert, daß die Beine der Leute Baumstämme sind. Jedenfalls
werde ich am Sonntag etwas getan haben, wie ich es will; fünfzig
Prozent aus reinem Eigeninteresse, weil ich nicht einverstanden bin,
fünfundzwanzig Prozent, weil ich mich für Leute und Situationen
interessiere und fünfundzwanzig Prozent, weil ich seit neuestem
klargekriegt habe, daß ich an die Kunst glaube. (Kunst reagiert
nicht. Sie handelt. Sie handelt im Verhältnis zum Wirklichen,
zur Wirklichkeit des Sozialen, des Politischen, der Ideologien der
Zeit. Wenn sie irgendeinen Sinn hat, dann als diese schwebende Selbstbehauptung
über dem Abgrund der eigenen Ohnmacht. Die Künstlerin, der
Künstler sind ohnmächtig. Aber ihre Ohnmacht macht sie erst
frei! Frei zu sein, bedeutet nicht, alle Möglichkeiten zu haben.
Es bedeutet, den Möglichkeitsraum zu durchqueren, um bereit für
das Unmögliche zu sein, das Unmögliche zu bejahen. Die Anstrengung
liegt darin, das Unmögliche möglich werden zu lassen.)
Die Stimme der Kritik lädt man ja ein, weil man vermutet, daß
die Stimme kokettiert. Daß sie mittlerweile nur spricht, weil
das ihr Job geworden ist, aus Ermangelung anderer Aussagen. Eigener
zum Beispiel. Kritiker machen ja keine Kunst. Künstlern, die
sich als Kritiker betätigen, fehlt also Eigenständigkeit,
da sie sich in permanenter Reaktion befinden und es sich leichter
machen als richtige Künstler, die was produzieren, einfach so.
Jetzt bin ich wieder beim Briefschreiben angelangt. Der Brief an Sie,
geschrieben ohne Bewerbungsdeadline, wäre vielleicht ein eigenständiger
künstlerischer Akt gewesen, leider aber habe ich die Deadline
verpasst. Die Deadline zur Bewerbungsabgabe für Schloss Solitude
ist mir dazwischengekommen. Was so kommen musste, denn ich habe keine
genaue Vorstellung von eigenständiger künstlerischer Arbeit.
Also was soll das sein, wo soll die herkommen. Man träumt ja
manchmal, daß man ein Stück komponiert, manchmal schreib
ich auch was, im Schlaf, ich seh dann die ganzen Noten, den ganzen
Text, summen tue ich auch und der Sprachrhythmus ist da, alles, ich
brauche nur aufwachen und das fertige Ding raushauen. Aber immer wenn
ich aufwache, kann ich mich an nichts erinnern. Vielleicht wären
das richtig umwerfende Stücke. Nichts, was ich schon erlebt hab',
wär' da drin, nichts gesamplet, nichts verwendet, einfach ein
Ei gelegt. Traummaterie. Aber vielleicht wär's auch ein Stück
von Abba oder von Eminem oder Bach und in ihrem Fall vielleicht sogar
Wagner. Und da wäre man dann wahrscheinlich enttäuscht.
Nein, ich glaube da einfach nicht dran, an diese Selbstreproduktion.
Ich will auch gar nicht weiter darüber schreiben, das ist doch
ziemlich uninteressant. Mich nervt sowieso schon, daß ich Interesse
an Ihnen behaupte, hier aber dauernd von mir spreche. Was ich will,
wie ich was mache usw. Ich will mich ja eigentlich nur als Beispiel
benutzen, als jemanden, durch den diese ganzen Vorgänge, von
denen ich spreche, durchlaufen. Als Teil von etwas. Ich sprech dann
eben lieber von mir, weil mich kenn ich ja so halb. Ich verbringe
ja schließlich die meiste Zeit mit mir selber. Und wenn ich
sage, daß mich diese ganzen Vorgänge durchlaufen, dann
geh ich davon aus, daß sie mich auch nicht besonders durchlaufen
und nicht ungewöhnlichere Dinge bei mir auslösen als bei
Anderen auch. Nur so einen normalen menschlichen Erlebnishorizont
und in meinem Fall eben gerade den Erlebnishorizont eines durchschnittlichen
Bewohners der westlich europäischen Welt. Ich habe nie Tagebuch
geschrieben, ich finde das langweilig. Aber von mir sprechen zu anderen
Leuten, das nehme ich mir heraus. Und ich will lieber öffentlich
mit denen sprechen als privat. Das Private ist öffentlich. Und
das Öffentliche ist privat. Und alles Beides ist unpolitisch.
Das macht das Handeln auch so schwierig und so vermeintlich leicht
zugleich.
Ich bin daher in letzter Zeit lieber so eine künstliche Mauer.
Selbst gemauert, um Widerstand und selbstgewählte Schwierigkeiten
zu erzeugen, in Räumen, die keine mehr sind. Ich will nämlich
lieber Räume, das ist mir klargeworden, als keine. Ich will auch
Grenzen. Die kann man ja wieder wegmachen, wenn man sie nicht mehr
benötigt. Zum Sprechen. Zum Handeln. Für die Kunst. Ich
versuche, mit der Schaufel in der Hand zu sprechen:
Heute geht es darum, ein Baum, eine Stadt, ein Bauer, ein Heiliger,
ein Kaninchen, ein Löwe, Blut, Schnee und Nebel zu sein. Es geht
darum, Fallübungen zu machen, im schwerelosen Raum das Gleichgewicht
zu behalten, dabei zu telefonieren und Walkman zu hören, die
Augen offen zu halten, entspannt zu lachen und das Mikrofon nah genug
an den Mund zu halten, deutlich zu sprechen, befreundet zu sein, darauf
zu achten, daß man gut aussieht und nicht krank wird, und guckt,
welche Kamera gerade aufnimmt.
Dann fällt mir die Schaufel runter und in den Fuß rein,
den nehm' ich dann ganz schnell hoch, weil's so weh tut, und hüpfe
rum auf einem Bein und winke ins Publikum. Das klatscht. Das tut es
immer.
Ich bin dann böse, weil ich mir zuviel zugemutet habe und dem
Publikum auch, Weil ich erwartet habe, daß es mal nicht klatscht,
sondern, weil es genauso verwirrt ist wie ich selbst, auf die Bühne
kommt und mit mir ins Krankenhaus fährt, dahin, wo wir alle hingehören.
Im Krankenhaus wach' ich dann auf.
Das Zimmer ist leer. Nur ich bin drin. Mein Kopfkissen ist ganz nass,
mir fällt ein, daß ich im Traum ganz schrecklich geweint
habe und laut geschrieen und so furchtbar furchtbar unglücklich
war mit Schmerzen in der Brust, ganz tief Innen drin, das war kaum
zum aushalten, es war ganz real, so ein Schmerz, wenn man weiß,
daß was weg ist und nicht wiederkommt. Vor dem lauf ich immer
weg. Trennung. Die Person aus dem Nebenbett ist gerade zur Untersuchung,
sagt die Schwester. Ich fange an zu weinen. Ein paar Stunden, bevor
meine Freundin gestorben ist, da ging es ihr so schlecht. Sie war
echt fix und fertig. Sie war zu schwach schon, zum Schreien, die Tage
vorher, hat nur gestöhnt, leise, tagelang, aber da hat sie dann
sich an mir festgehalten und immer geschrieen, daß ich was machen
soll und ihr helfen. Das war furchtbar. Ich konnte nichts machen.
Ich hab ihre Hand versucht zu halten, aber das ging nicht richtig,
weil ihr jede Berührung weh getan hat, ich wär am liebsten
in sie mitreingekrochen, um ihr was abzunehmen und auch dazusein,
aber das ging alles nicht. Da war so ein wahnsinniger Abstand und
sie hat immer versucht, den kleiner zu machen, und wollte nicht weggehen.
Ich hätte ihr gern gesagt, sie soll doch bloß gehen, damit
sie nicht mehr so leidet, aber das konnte ich auch nicht, weil ich
wollte sie ja auch dahaben und dann hat sie immer schlimmer gelitten.
Dabei war sie eigentlich ein ganz starker und fröhlicher Mensch.
Das war furchtbar.
Und trotzdem hab ich soviele Tage, da bin ich miesepetrig. Ich will
dann auch die Menschen liebhaben und schön finden, stattdessen
aber geh' ich raus aus der Tür und rein zu Real.
Zum Beispiel an dem Punkt kommt dann die Akademie und sagt, daß
sie besonderen Wert darauf legt, ihren Gästen eine andere Zeit,
eine Zeit von besserer Qualität anzubieten, als die, die Künstler
in ihrem Alltag sonst erleben. Aber das ist doch dann wirkliche Scheiße.
Ich brauche keine bessere Zeit, sondern Kraft und Liebe, so nenn ich
das jetzt mal, um in so eine Scheiße besser reingehen zu können.
Damit mein ich auch so was wie ein Schloß. Mit der Scheiße
und auch mit der Liebe. Ich suche ja Auseinandersetzung. Immer rein
und was rausfinden, damit ich mich bewegen kann und auch wach bleibe.
Ich sehe ja, daß das nett gemeint ist, mit der besseren Zeit
und irgendwie ist die Annahme auch schön, daß da Leute
sind, die machen sich Gedanken, wie die Künstler von heute, die
in ihre Zukunft investieren wollen und das sicher dann auch machen,
da auf dem Schloß, wie diese Künstler also eine bessere
Zeit verbringen können. Trotzdem will ich das Schloss und die
Zeit auf dem Schloss.
Was ich mir nämlich vorstellen kann, ist zu versuchen und mir
Mühe zu geben, auf dem Schloss eine dem Schloss angemessene Zeit
zu verbringen. Das Schloss sieht ja auf den ersten Blick aus wie das
Gegenteil von einem Kellerloch, in dem man sitzt und pöbelt und
widerborstig, bockig und auch sonst ein 'Hater' ist, von sich selbst
und Anderen. Was aber nie aufgeht. Man kann sich nicht richtig streiten,
u.a. weil man nicht gehört wird da unten. Man wird übersehen.
Dieser ganze Streit findet nur im Kopf statt, man denkt sich was aus.
Allerdings hat man heutzutage nicht mehr angemessen Zeit dazu. Man
muss zum Arbeitsamt gehen oder für Euro irgendwo arbeiten und
die ganze Zeit umsonst Netzwerken, für die Kellerlochmiete. Das
schlaucht. Man ist so geschlaucht davon, daß man dann nicht
mehr aus Freiwilligkeit vielleicht zu der Erkenntnis gelangt, daß
man Fehler begangen hat mit diesem ganzen Zynismus- mit dem auf jeden
Fall und vielleicht sogar mit den Experimenten im Mauerbau, die man
voll Freude mal angefangen hat- und daß man jetzt mal unbedingt
und dringend mal schauen muss, wie's wohin veränderlich weitergeht.
Nein, man ist so geschlaucht, daß man einfach müde wird
und halb einschläft. Man läuft rum mit so einem plüschigen
und weichen Iro auf dem Kopf und geht zu tollen Events, wo man die
ganze Zeit angerempelt wird und auch rempelt, weil das ist Remmidemmi
und gehört dazu. Das ärgert auch nicht, sondern macht Freude.
Ich habe Angst. Ich will nicht bequem im Kellerloch sitzen und ich
will das Schloss nicht als Rückzugsort. Ich will es gerade am
ehesten, weil mir bis jetzt eigentlich auch unvorstellbar war, es
überhaupt zu wollen. Deswegen konnte ich auch immer gut Verweigerungsentscheidungen
bringen und auch Verweigerungskunst machen. Verweigerungskunst, die
ich jetzt demnächst so gut drauf habe, daß sie anfängt,
mich zu langweilen. Ich will mich also dem Schritt verweigern, daß
ich dann bald genügend Fans zusammen hab, sodaß ich zumindest
halb davon leben kann, ohne große Ansprüche und ohne Ziele
und mit Narrenkappe auf. Man kann im Wald Pilze suchen und das Schloss
suchen auch und versuchen, Verweigerung zu entleeren oder so etwas
in der Art, und unfunktional zu werden. Das Schloss ist eine Herausforderung.
Es ist mir zu leicht, was nicht bedeutet, daß es mir leicht
fällt, mühelos ist, immer weiter aus der prekarisierten
Brutplatzkunstecke heraus zu sprechen. Zudem ich die auch nicht verteidigen
will. Die Tendenz ist ja gerade sehr stark, diese Off-Kunst-Orte zu
kuratieren und zu umhegen und ihnen zu schmeicheln, weil sie nämlich
voll sind mit so Leuten wie mir, die keine Off-Kunst machen wollen,
sondern relevante Kunst. Ob die Relevanz ihren Geldbeutel betrifft
oder ihren Kopf, das muss man genauer untersuchen. An dieser Stelle
im Text warte ich darauf, daß jetzt was kommt. Streit.
(Man erwartet von Kunst eine Unterbrechung, einen Schnitt oder Einschnitt
in das Gewebe der ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse.
Die Arbeit, die sich der Verantwortung angesichts und innerhalb dieses
Gewebes nicht entzieht, muss eine Intervention darstellen. Sie ist
zur Gewaltanwendung gegenüber dieser selbst gewaltsamen Textur
aufgerufen, die heute über Bedeutung und Bedeutungslosigkeit
entscheidet, zur Unterbrechung des herrschenden Systems, des hegemonialen
Archivs und der dominanten Gedächtnisnorm, die es verwaltet,
indem es sie gegen alle Widerstände in Schutz nimmt und in allen
ökonomischen Registern stabilisiert. Man könnte, indem man
die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen vernachlässigt, indem
man also ungeduldig ist, diese Gewaltanwendung als einen Akt der Überstürzung
und Ungeduld gegenüber der Geduld und sich selbst generierenden
Stabilität dieser umfassenden Struktur und Matrix interpretieren.
Diese Ungeduld ist unerlässlich. Dennoch ist es notwendig, diese
Intervention als Produkt der Matrix selbst anzuerkennen. Die Intervention
präzisiert die Matrix, indem sie sie gewissermaßen 'von
Innen' (es gibt kein Außen der Immanenz) justiert, neu einstellt
oder reprogrammiert. Die Präzisierung der Matrix bedeutet eine
Art doppelter Beschleunigung des Systems. Doppelt deshalb, weil sie
das System zwingt, sich über sich selbst hinaus zu beschleunigen,
und weil es diesen Exzess mit einer weiteren Übertreibung verbindet,
die man den Exzess des Stillstandes oder der absoluten Verlangsamung
nennen kann.)
Das Schloss ist eine Herausforderung. Es bedeutet Erfolg, im Sinne
von Mama und der Beilage der Süddeutschen Zeitung, und es bedeutet
Anerkennung. Ich kann mir ausmalen, daß man sich auch in einem
Schloss nicht besser bewegen kann als im Keller oder in dem Altersheim,
in dem ich jetzt lebe und das mich besorgt, weil ich fürchte,
vor lauter Schwäche nicht rechtzeitig mehr ausziehen zu können.
Die meisten Schlösser sind ja bevölkert von Zombies. Schlafende
Schönheiten, die tot und lebendig sind, in deren Kiste aber immer
früher oder später jemand reinguckt und ihnen bestätigt,
daß sie noch leben. Sie husten dann, spucken Wasser, Blut und
Äpfel und machen weiter wie vorher, heiraten in die Gesellschaft
hinein, die sich freut- es ist gut, so jemand stinkenden in ihrer
Mitte zu haben. Zack, schon ist er wieder da, auch hier im Text, mein
beleidigter bockiger Zombie aus dem Keller!
Er ist schwer loszuwerden. Ich will ihn aber loswerden.
Beim Schreiben habe ich mich gerade so versteift, daß mein Bein
eingeschlafen ist. Das habe ich an dem tauben Gefühl im Fuß
gemerkt. Ich dachte, ich muss mich kurz bewegen, sowieso war ich an
einer Stelle im Text angekommen, an der ich nicht weiter wusste und
anfing mich zu wiederholen, blöde Wiederholung, keine Wiederholung,
geeignet, um ins Summen zu kommen. Ich wollte also aufstehen, kurz
ein Brot essen. ich konnte aber nicht. Mein Kopf sagte deutlich zum
Bein: Aufstehen!, aber da war keine Kontrolle. Das Bein hat sich nicht
geregt, so fest war es eingeschlafen. Ich habe dann mit der Hand,
meiner linken, den toten rechten Fuß gepackt, das tote rechte
Bein angewinkelt, unter dem Schreibtisch hervorgeholt und woanders
abgestellt. Dann bin ich einfach aufgestanden. Aufgestanden und sofort
umgefallen. Ich lag auf dem Boden und habe geschrieen, weil plötzlich
hat der Fuß sehr extrem wehgetan. Er war nicht mehr tot, sondern
ein Schmerz. Ich lag hilflos und verzweifelt am Boden. Lachen musste
ich aber auch. Die Mitbewohner des Altersheimes sind gekommen und
haben geschaut, was los ist mit mir. Das fand ich auch toll. Die haben
sich Sorgen gemacht, weil jemand schreit. Und da war ich dann plötzlich
irgendwie zuversichtlich. Man kann ja mit Leuten zusammenarbeiten,
nicht mit Vielen, aber manchmal gibt es Bereitschaft und Interesse,
sogar ohne daß man sich sonderlich mögen muss. Das gibt
mir Kraft. Die brauche ich. Ich habe nämlich Wünsche. Ich
will summend im Wald rumlaufen können, so daß das ein Zustand
ist, der präzise und gleichzeitig total ungerichtet, heiter,
erwartungslos ist, ohne dabei harmlos zu sein oder akzeptierend. Das
wäre vielleicht eine Handlung. Und wenn ich das mal schaffen
sollte, will ich nicht gleich das Notizbuch rausholen müssen
deswegen. Am besten wäre, es zu merken und nicht zu merken. Ich
habe so Wünsche, aber ich habe hier gerade nichts anzubieten.
Ich müsste lügen.
Anstatt 'seinen eigenen Kopf' zu haben oder schlicht keinen, behauptet
der Kandidat die Kopflosigkeit selbst als Kopf.
Ich hab ja jetzt viel gesagt, was ich zu sagen habe oder jedenfalls,
soweit ich es formulieren und schreiben kann. Den Rest muss ich üben.
Ich werde weiter üben, mit oder ohne Schloss. Ich werde es zumindest
versuchen. Soweit ich es kann und auch aushalte. Ich gebe mir Mühe,
zu zerreissen und ganz zu bleiben. Was anderes kommt nicht in Frage.
Noch nicht. Dein Afrika ist mir das Surfen, im übrigen. Aber
soweit bin ich noch nicht, ich weigere mich, mich rauszuziehen, vermeintlich.
Dieser Brief ist eine Übung und ein Versuch und eine doppelte
und miteinander vermengte Notwendigkeit. Uptown top rankin'.
Dieser Brief ist eine Meditationsübung und Geisterbeschwörung.
Gleich gehe ich raus, zum Jazzkonzert in die 'Fabrik', ich stehe auf
der Gästeliste von einer Band, die was versucht hat. Ich werde
spät dran sein und nur noch das letzte Lied sehen können.
Ein Stück- offen, mit Räumen für die Musik und die
Musiker und gleichzeitig wird es auch sehr brachial, fast brutal,
sein- was mir guttun wird, nach dem Performen dieses Textes. Das Stück
wird zuende sein und das Publikum wird klatschen. Dann wird so ein
fahriger, so ein kaum greifbarer Typ, offenbar der Veranstalter, die
Bühne betreten und händereibend sagen: 'Kultur ist schön,
weil sie einem viel geben kann, wenn man sich darauf einlässt.'
Er kündigt dann die 'Nighthawks' mit dem Trompeter der NDR Bigband
an.
Das Licht geht aus, nur auf der Bühne wird es blau und grün
und nebelig und dieser achtziger Jahre Beat setzt ein.
(Die Nacht ist dein Freund. Lichter überall. Licht bricht das
Dunkel. Sattes Rot, knalliges Grün, fahles Gelb. Farben in Bewegung.
Ruhig ist nur der Kegel deiner Scheinwerfer. Dein Weg ist lang. Deine
Gedanken haben Flügel, werden getragen von diesem warm wummernden
Bass, von dieser wohlig blubbernden Orgel, von diesen rührenden
Drums. Und vom Sound dieser angenehm gedämpften Trompete. Sie
erklingt vor dir, hinter dir, überall. Sie leitet dich. Du folgst
ihr. Durch die Nacht. Die Nacht ist dein Freund.)
Die Nighthawks finden sich und ihre Musik gut, grooven sich unzerstörbar
ein und sind damit beschäftigt, das Publikum in individuelle
Kokons aus Eis und Nebel einzuspinnen, was sehr gut funktioniert.
Alle sitzen wie paralysiert. Alle Kräfte werden abgesaugt. Alles
ist sehr real. Auch ich werde nicht wegkönnen und zugehören
bis zum Ende.
Ich interessiere mich für Alltagsgewalt. Ich wünsche mir
eine bessere Zeit.
'Du sollst zu deinen täglichen Verrichtungen hin denken'.